VdM #9 – Gaia‘s Stellar Family Portrait
besprochen von Ann-Kathrin Brauer
Was ist Gaia?
Neben bekannteren Weltraumteleskopen wie dem Hubble oder dem James Webb Teleskop kartographiert das Gaia Weltraumteleskop seit Dezember 2013 die Milchstraße. Ziel der Mission ist es, Fragen über Ursprung und Entwicklung der Sterne in unserer Milchstraße zu beantworten. Die Ergebnisse der Mission stellt die Europäische Weltraumorganisation ESA in der interaktiven Visualisierung Gaia’s Stellar Family Portrait dar. Dieses „Familienporträt“ haben wir als unsere Visualisierung des Monats März ausgewählt.
Was passiert in der Visualisierung?
Durch eigenständiges Scrollen können die Nutzenden die Visualisierung im individuellen Tempo auf sich wirken lassen. Dabei ist zu Beginn nicht deutlich erkennbar, was dort eigentlich visualisiert ist. Zu sehen ist lediglich ein schwarzer Fleck auf weißem Untergrund. Erst beim Scrollen erscheinen rot unterlegte Infoflächen, die verdeutlichen, um was es sich handelt: rund 39,5 Millionen Sterne. So wird nach und nach klar, dass der schwarze Fleck, den wir zu Beginn sahen, nur ein Ausschnitt, ein winzig kleiner Teil der Milchstraße ist. Langsam färbt sich die schwarz-weiß Aufnahme anschließend ein: heiße Sterne sind blau, kalte Sterne sind rot. Und jetzt wird die Visualisierung auch interaktiv. Um Ordnung in die Fülle der Sterne zu bringen, werden 47 sogenannte Cluster herausgepickt. Diese können die Nutzenden anklicken und explorieren.
Weiteres Scrollen bringt schließlich weitere Ordnung in das Chaos. Dabei werden die rund 20.000 dargestellten Sterne horizontal nach ihrer Farbe sortiert: Nach links die blauen heißen Sterne, nach rechts die roten Kalten. Anschließend erfolgt auf einer vertikalen Achse eine weitere Sortierung entsprechend ihrer Helligkeit: oben besonders helle, unten schwächer leuchtende Sterne. Das Ergebnis daraus zeigt das Hertzsprung-Russel-Diagramm, das „berühmteste Diagramm der Astrophysik“ („the most famous diagram in astronomy“, John D. Barrow „Cosmic Imagery: Key Images in the History of Science“, 2008).
Doch neben der Leuchtkraft und Temperatur eines Sterns, die die Nutzenden aus dem Diagramm ablesen können, sagt die Position eines Sterns im Diagramm auch etwas über dessen Alter aus. Das wird deutlich, wenn die Nutzenden weiterscrollen. Mit fortschreitender Zeit fangen die Sterne an, durch das Diagramm zu wandern. Die Sterne auf der sogenannten Hauptreihe, also der diagonalen Linie in der Mitte des Diagramms, wandern von dort nach rechts oben in den Bereich der roten Riesen. Dort verweilen sie eine lange Zeit, bevor sie schließlich in den Bereich der weißen Zwerge links unten springen, dem Endstadium der Entwicklung für Sterne wie unsere Sonne.
Warum ist diese Visualisierung besonders?
Die Visualisierung schafft es, aus einem wenig aufregenden Diagramm etwas Besonderes zu machen. Zu Beginn ist die Farbigkeit in schwarz-weiß gehalten. Je mehr wir über Sterne lernen, desto bunter und belebter wird die Visualisierung. Die hinzukommenden Informationen und die resultierende Ordnung sind durch die Animation besonders abwechslungsreich gestaltet. Dies mündet schließlich im Alterungsprozess der Sterne als Wanderbewegung über den Bildschirm.
Durch das Herauszoomen des kleinen Milchstraßenabschnitts zu Beginn schafft die Visualisierung außerdem Perspektive. So stellt sie anschaulich die Größen- und Mengenverhältnisse in unserer Galaxis dar. Die Nutzenden können sich in dieser interaktiven Visualisierung verlieren. Dieses „sich verlieren“ ist ein Gefühl das durch die Emotion „Awe“ beschrieben wird. In der Forschung ist bekannt, dass sie epistemisches Verhalten anregt und dazu beitragen kann, Bekanntes zu Hinterfragen sowie Wissenslücken zu schließen.
Indem sie „Awe“ auslöst und gleichzeitig zur Wissensexploration einlädt, ist diese interaktive Visualisierung besonders und damit unfassbar bereichernd. Probieren Sie es hier aus!
Videos: @esasciencetechnology7038
Über die Visualisierung des Monats
In der Serie „Visualisierung des Monats“ stellen wir jeweils am zweiten Mittwoch des Monats eine herausragende Visualisierung vor. Ein Kriterium bei der Auswahl ist, inwieweit diese aus Design-Perspektive ästhetisch und emotional ansprechend ist. Außerdem schauen wir uns den Informationsgehalt an. Dazu gehört auch, wie die Nutzerinnen und Nutzer der Visualisierung dabei unterstützt werden, komplexe Zusammenhänge besser zu verstehen. Die Auswahl erfolgt innerhalb des KielSCN-Teams und bezieht das Fachwissen aus den Bereichen Informationdesign, Bildungswissenschaften und Emotionsforschung sowie der Wissenschaftskommunikationsforschung ein.